Texte
Zur Kunst von Salome Haettenschweiler
Schaue ich mir die Skulpturen von Salome Haettenschweiler an, in ihrem Atelier in Berlin Schöneberg oder auf Fotografien einer Ausstellung in Cottbus, dann sehe ich in ihnen Darsteller und Requisiten eines ungeschriebenen Stücks. Die alle nur „Objekt“ betitelten Skulpturen haben oft eine schalkhafte und eine ernste Seite. Dass sich das eine in das andere verwandeln kann, gehört zu ihren Stärken.
Der Thron und die Herde
Da gibt es ein von rotgefärbten Bändern umwickeltes „Objekt“, das einem Stuhl mit sehr hoher Rückenlehne gleicht. Ein Thron vielleicht, der dem hier Platz nehmenden Größe, Würde, gar Macht verleihen könnte; aber noch ist offen, wer kommt. Jede*r könnte es sein, die/der hier für einen Moment aus dem Gewohnten herausgehoben wird.
Dass dies nur eine Idee ist, ein Gedankenspiel von dem, was geschehen könnte, ist auch klar, denn deutlich betont das „Objekt“ seinen Kunststatus, das Gemacht sein durch die Hände der Künstlerin. Dies geschieht nicht zuletzt durch die Struktur der Oberfläche, gewickelt aus in unterschiedliche Töne von Rot getauchte Streifen aus Stoff, die die enge Verwandtschaft zwischen Skulptur und Malerei verraten. Es ist ein festliches Rot, dem man durchaus eine Spur von Freude und Stolz andichten kann.
Aber, wie viele der Skulpturen von Salome Haettenschweiler, hat auch dieses „Objekt“ etwas Fragiles und Verletzliches. Die bandagierte Oberfläche verrät nicht, wie fest der Kern darunter ist, wie vollständig oder doch schon durch seine Geschichte in Mitleidenschaft gezogen und vernarbt.
Jetzt wende ich mich einer anderen Skulptur oder besser Skulpturengruppe zu, einer fünfteiligen Herde von schwarzen „Objekten“, die jeweils auf vier Rollen gesetzt sind. Sie wuseln so auf Knöchelhöhe um die Füße der Betrachtenden, dort, wo einem sonst Katzen um die Beine schleichen. Der Blick auf sie herab ruft das Bedürfnis, sie zu schützen, auf. Haben sie sich verlaufen, haben sie sich verfahren? Schwarz wie Kohlentender erzählen sie vom Unterwegs-Sein; es könnten aber auch mit Fluchtgepäck beladene Karren sein. Andererseits wirken sie etwas eigensinnig, müssen nicht einer Spur folgen, können auseinander stieben, sich verstecken, Schabernack treiben.
Außerhalb der Sprache
Fast alle Skulpturen von Salome Haettenschweiler sind namenlos, beziehungsweise nur „Objekt“ betitelt. Als hätte ihre Gestalterin eine Scheu vor Namen, vor Namenszauber, als ob damit immer schon zuviel gesagt sei, Bedeutung sich an die Objekte heftet und das Deutungsspiel einengt. Will man sich auf ihre Kunst beziehen, muss man sich die Umstände machen, sie zu beschreiben. So verweigern die Kunstwerke einerseits eine Existenz in der Sprache, sie wollen sich nicht deren Denk- und Sinnzuschnitten anpassen. Aber stumm bleiben wollen sie andererseits auch nicht. So fordern sie also dazu heraus, sie mit Sätzen zu umtanzen, die immer nur ein Ungefähres, ein Mögliches von ihnen meinen können.
Die meisten Skulpturen von Salome Haettenschweiler haben ein Innen und ein Außen; das Innere ist oft verborgen. Aber nicht immer. Drei weiße „Objekte“, die wie in den Hüften leicht eingeknickte Papiertüten etwas schief in der Gegend stehen, lassen in ihren leeren Innenraum blicken. Innen und außen sind weiß, weiß gemalt, weiß übermalt, alle Spuren gelöscht. Was in ihnen einmal geborgen war oder geborgen werden könnte, verraten sie nicht.
Wie drei nebeneinander rotierende Derwische stehen sie da, unbewegt zwar, aber doch so geneigt, als wären sie gerade erst aus der Rotation zum Stehen gekommen. Bewegung ist zwar nicht sichtbar, aber als Erinnerung präsent.
Mythisch aufgeladen
Rot, schwarz und weiß, die drei Farben begegnen einem in den Skulpturen und Malereien von Salome Haettenschweiler über die Jahrzehnte immer wieder. Rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz, weiß wie Schnee heißt es im Märchen von „Schneewittchen“. Höchstwahrscheinlich ist das Märchen kein Referenzpunkt für die Künstlerin, aber etwas mythisch Aufgeladenes haben die über viele Jahre stetig wiederkehrenden Farben schon. Sie bilden einen eigenen Kosmos, eine im Malen entstehende Welt, der es auf den Verweis auf das, was außerhalb ihrer selbst liegt, nicht ankommt.
Die Skulpturen von Salome Haettenschweiler sind Ergebnisse ihres Handelns als Malerin. Farbhäute überziehen die Volumen oder eben jene farbgetränkten Streifen aus Stoff, die sich wie eine Fortsetzung von Pinselstrichen lesen lassen, von im Kreis und in Ellipsen geführten Linien. An die Stelle der Leinwand als Malgrund rücken bei der Künstlerin die verschiedenen textilen Materialien, die nicht mehr auf die Fläche und das Geviert beschränkt sind, sondern sich im Raum artikulieren.
Es gibt Ausnahmen. Auf einem Regal in ihrem Atelier stehen zwei große bauchige Vasen, gefüllt mit kleinen Kissen, die mit Stecknadeln nur zusammengesteckt sind und mit großen blumigen Mustern besetzt sind. Bei einem Stipendienaufenthalt in Krakau/Polen war die Malerin auf diesen Stoff gestoßen wie auf eine gefundene Malerei von barocker Üppigkeit. In ihren Kissen wird diese in kleine Dosen heruntergebrochen, als könnte einem von zuviel Süße in der im Ganzen ausgebreiteten Stoffbahn auch schlecht werden.
Die Sammlung der Tage
Salome Haettschweiler ist immer zuerst Malerin, auch in ihren Skulpturen. Sie malt Zeichnungen: Das Papier oder die Pappe wird so schwer von Farbe, dass man hinter der sichtbaren Schicht etliche verborgene vermutet, bis ganz vorne Kringel oder Kreise stehen wie spontan hingeworfene Notate.
Wenn die Künstlerin weiße Bilder malt, in Serien wie zuletzt im Herbst 2020, dann ist das Auge zunächst irritiert, zurückgewiesen schweift der Blick ohne Halt suchend über die Fläche. Bis er dann doch schmale Linien, Brüche und Schattenzonen in der Weiße entdeckt; etwas faltet sich unter der Oberfläche zusammen, öffnet und schließt sich, drückt in die eine oder andere Ecke. Der Blick muss dem Bild gewissermaßen den Puls fühlen, die Farbhaut vorsichtig abtasten, um das Leben in ihr zu erfassen.
Über viele Jahre hat Salome Haettenschweiler Skizzenbücher gefüllt mit kleinen Zeichnungen, ähnlich wie Notizen des Tages. Das Flüchtige, Zufällige oder Spontane, das diese Skizzen einfangen, wiederholt sich in ihren großformatigen Bildern. Aber die haben eben auch noch eine zweite Dimension, Zeit haftet ihnen an, Dauer, die Vorstellung von Überlagerung und zurückgelegter Strecke. Etwas wirkt, wie dem Augenblick geschuldet, aber das funktioniert nur, weil dem Augenblick eine lange Kette von Ereignissen und Entscheidungen vorausgegangen ist. Versenkung, Arbeit, Sammlung, Auswahl und Konzentration manifestiert sich in dem letztlich so leicht Scheinenden.
Um wieder ein Bild aus dem Märchen zu gebrauchen: Der Brunnen ist tief. Ein Stein, der hereinfällt, braucht seine Zeit, bis er den Wasserspiegel durchschlägt und Kreise bildet, bevor er weiter sinkt. Irgendwann ist der Wasserspiegel wieder still und schwarz, aber was unter ihm ist und über ihm, berührt sich in der Stille und Fläche. So hat auch die sichtbare Seite der Bilder von Salome Haettschweiler ein Davor und ein Danach, ein Darüber und Darunter.
2018 entstand „gelebt“, ein Objekt aus Papier, Gips und Farbe, ausnahmsweise mit einem Titel, das an ein aufgeschlagenes Buch erinnert, dessen Seiten sich über die Jahre gefüllt haben. Erfasst in einem Moment des Innehaltens: so viele Seiten, so viele Zeiten sind schon durchschritten, aber es geht auch noch weiter.
Seit ich Salome Haettenschweiler 1990 kennengelernt habe, in einer Ausstellung in der Galerie Johannes Peter, ist sie sich selbst treu geblieben. Weglassen, was nicht dazugehört; so einfach wie möglich beginnen; erspüren, was notwendig ist. Diesen Arbeitsansätzen folgt sie bis heute. Sie ist darin, nach eigener Einschätzung, sogar strenger geworden, aber auch sicherer und gelassener.
Damals schrieb ich in einer Rezension in der taz über eine Ansammlung ihrer Skulpturen: „Wann ein Objekt seinen endgültigen Zustand erreicht hat, findet die Künstlerin über Versuche, Beobachtung und Abwarten heraus. Zu ihrer Arbeit gehört, den Dingen die Ruhe zu geben, sich zu entfalten. So gewinnt die Materie einen Anschein von Autonomie und Belebung. Jedes Ding beansprucht seinen Raum. Jedes Ding ist nur Fragment, Teil eines zerstörten Ganzen. Jedes Ding fordert seinen Ort, der ihm Schutz gewährt.“ Und diese Gedanken werden bis heute in mir wachgerufen, wenn ich ihre älteren und neueren Arbeiten in ihrem Atelier sehe.
Katrin Bettina Müller